Hinkebeins Almabtrieb
Na, endlich ist es um die Schickse geschehen!, höre ich Sie schon jubeln. Da hat sie Albert das Tier auftreten lassen, so richtig schön mit Knalleffekt und die Sympathien sind auch klar verteilt. Außerdem, wie rührend, hat der Kerl auch noch nen Klumpfuß, so dass gar niemand umhin kann, zusammen mit der Schickse Tränen der Ergriffenheit zu vergießen wegen ihrer sozialen Ader, wenn sie sich dann endlich dem Tier hingibt. Ein wenig durchsichtig das Ganze vielleicht? Aber Artztromane haben schließlich auch ihre Leserschaft.
Tatsächlich, so befürchte ich, muss ich Sie wieder mal enttäuschen. Gewiss, es gab wahrscheinlich so gut wie kein Mädchen in unserer Klasse, das nicht zumindest in der Einsamkeit ihres Zimmers das ein oder andere Mal einen Seufzer ausgestoßen hätte beim Gedanken an Albert. Der hatte das gewisse Etwas, trotz seiner Behinderung. Oder vielleicht wirklich --ich räume diese Möglichkeit durchaus ein-- gerade wegen der Behinderung.
Nur die M., seine Banknachbarin wider Willen, schüttelte es vor Ekel beim Gedanken an den Neuen. Aber das war kein Wunder, denn die M. hatte einfach völlig eigene Vorstellungen von Männlichkeit. Für sie mussten echte Männer teure, dunkle Anzüge tragen und nach exklusivem Rasierwasser duften. Persönliche Schwächen waren in den Augen der M. unmännlich. Ein Tier wie diesen Albert würde sie höchstens mal an der Leine ausführen, aber nie auch nur in die Nähe ihres Bettchens lassen.
Dabei war Hinkebein, wie ihn der Franz, absolut geschmackssicherer Style Guide der Klasse, nach wenigen Tagen getauft hatte, ein ungeheuer kluger Kopf. Die Klassenarbeit über den Fontaneroman am Tag seines spektakulären Auftritts, hatte er ohne je zuvor an unserem Unterricht teilgenommen zu haben und mit einstündiger Verspätung noch mitgeschrieben und dafür das Non plus ultra, satte fünfzehn Punkte, kassiert. Mathe und Physik waren nicht so sehr sein Fall, aber im Deutschunterricht machte ihm niemand etwas vor. Selbst der Neuberger wurde vorsichtig, wenn Albert eine seiner gewagten Thesen aufstellte. Zweimal war es passiert, dass der Schüler den Lehrer argumentativ vorgeführt hatte.
Tatsächlich wäre Albert in intellektueller Hinsicht schon der Richtige für mich gewesen. Aber da war noch etwas anderes, mehr ein Gefühl, das ich nicht genau definieren konnte, das mich abstieß. Der Klumpfuß war es nicht, es hatte mit der Art zu tun, in der Albert Frauen und Mädchen ansah. Ich musste unwillkürlich an einen Kannibalen denken, wenn ich Albert einmal alleine begegnete und seinen Blick auf mir spürte. Mir war jedesmal unwohl dabei.
Endgültig auf meiner Liste der unerwünschten Personen landete Albert nach einer Begebenheit, die sich während der Sommerferien zutrug.
Es war August, ein heißer August in jenem Jahr. Die P. und ich waren im Städtchen unterwegs, Klamotten probieren, Eis schlecken, Cola trinken und dazu eine rauchen.
In diesem Jahr waren rückenfreie Tops mit Spaghettiträgern, die im Nacken zusammengebunden wurden, der letzte Schrei. Wir hatten eben einen Teil unseres Geldes in zwei dieser Tops gesteckt, die P. in ein maisgelbes und ich in ein cremefarbenes. In unserer brandneuen Sommergarderobe hatten wir uns beieinander untergehakt und waren gut gelaunt unterwegs zur Bücherei, um frischen Lesestoff fürs Schwimmbad zu besorgen.
Bei dem herrlichen Wetter ist natürlich kein Mensch in der Stadtbücherei und wir wähnen uns zu zweit alleine zwischen den Regalen auf der Suche nach Lektüre. Deshalb trifft mich fast der Schlag, als ich um eine der Regalwände biege und dort unvermittelt Albert gegenüber stehe. Mein Schreck manifestiert sich in einem kieksenden Schrei, der sofort die P. herbeieilen lässt.
Da stehen wir beide eng nebeneinander und starren ziemlich entgeistert Albert an. Der hat nämlich mitten in der Bücherei die Hosen heruntergelassen, steht dort in einem dunkelroten T-Shirt mit dem Konterfei von Charles Bukowski auf der Brust, den ich damals noch nicht kannte, und ist ohne Zweifel gerade dabei, sich einen runterzuholen. Ich starre mit einer Mischung aus Entsetzen und Neugier auf diesen Penis, den Albert losgelassen hat und der nun mit wippender Spitze schräg nach oben von seinem Unterleib absteht. So ein riesenhaftes Glied habe ich noch nie gesehen. Genau genommen habe ich zuvor überhaupt noch keinen erigierten Penis in natura gesehen, aber im Vergleich zu den Aufklärungsbildern in Mädchenzeitschriften ist Alberts Speer schlicht monströs.
Ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, die peinliche Situation zu beenden, sieht uns Albert an mit seinem hungrigen Kannibalenblick, und mir läuft dabei ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Er aber sagt ganz beiläufig, so als müsse er uns an eine Schulveranstaltung erinnern: Almabtrieb. Bald ist die Zeit für den Almabtrieb. Die Stiere müssen gemolken werden.
Und er greift erneut nach seiner Lanze und fängt an, sie mit den Fingern zu massieren. Alberts Blick wandert zwischen der P. und mir hin und her, und er scheint uns beide auffressen zu wollen.
Auf einmal habe ich panische Angst vor der Situation, in die wir da unvorbereitet hineingestolpert sind. Das Herz pocht wild in meiner Brust und unbewusst weiche ich einen halben Schritt nach hinten aus. Die P. aber hat schon wieder diese glasigen Augen und statt an meiner Seite zu bleiben geht sie auf den Albert zu. Ich will die Freundin rufen, aber die Stimme versagt mir. Dann steht sie auch schon direkt vor dem Kerl, streckt beide Hände aus und greift nach seinem Glied, das er ihr entgegenstreckt.
Ich kann meinen Blick nicht abwenden, habe vor Anspannung die geballten Fäuste gegen Mund und Wangen gepresst, die Ellenbogen eng an meine Brust gedrückt. Die P. nimmt das Glied wie ein verletztes Vogeljunges in beide Hände, und im gleichen Moment ejakuliert Albert.
Augenblicklich löst sich die Lähmung, die mich erfasst hatte, ich mache auf dem Absatz kehrt und renne fort, hinaus aus der Bibliothek, nur weg, solange bis mir der Atem ausgeht dort draußen in der Sommerhitze. Hinter einem Gebüsch erbreche ich mich.
Auf der Lehne der Parkbank, dem Stammplatz der P. und mir, warte ich auf die Freundin. Zum Glück dauert es keine halbe Stunde, bis sie auftaucht und mich von meinen Selbstvorwürfen erlöst, sie im Stich gelassen zu haben.
Da sitzt sie neben mir, immer noch mit dem glasigen Blick in den Augen, mit einer Zigarette zwischen den Lippen, und vorne auf ihrem neuen, gelben Top trocknet Alberts Sperma.
Nein, sie ekle sich nicht. Weder vor dem, was in der Bücherei vorgefallen sei, noch vor dem Klumpfuß, falls ich das auch wissen wolle. Ja, die Gier in seinen Augen sehe sie auch, aber sie habe keine Angst vor ihr; im Gegenteil. Ja, sie wisse schon, dass er nicht nur sie so ansehe, sondern alle Frauen. Und nochmals ja, sie werde trotzdem alles daran setzen, sich mit Albert alleine zu treffen. Je eher, desto besser.
Noch im gleichen Herbst war die P. schwanger, und drei Tage nach ihrem eigenen achtzehnten Geburtstag bekam sie einen Jungen, den sie Albert junior nannte. Sie und Albert senior heirateten ein Jahr später, direkt nach dem Abitur, die P. war neunzehn, ihr Mann ein Jahr jünger.
Die P. wusste, was sie wollte. Schon als Mädchen.
Tatsächlich, so befürchte ich, muss ich Sie wieder mal enttäuschen. Gewiss, es gab wahrscheinlich so gut wie kein Mädchen in unserer Klasse, das nicht zumindest in der Einsamkeit ihres Zimmers das ein oder andere Mal einen Seufzer ausgestoßen hätte beim Gedanken an Albert. Der hatte das gewisse Etwas, trotz seiner Behinderung. Oder vielleicht wirklich --ich räume diese Möglichkeit durchaus ein-- gerade wegen der Behinderung.
Nur die M., seine Banknachbarin wider Willen, schüttelte es vor Ekel beim Gedanken an den Neuen. Aber das war kein Wunder, denn die M. hatte einfach völlig eigene Vorstellungen von Männlichkeit. Für sie mussten echte Männer teure, dunkle Anzüge tragen und nach exklusivem Rasierwasser duften. Persönliche Schwächen waren in den Augen der M. unmännlich. Ein Tier wie diesen Albert würde sie höchstens mal an der Leine ausführen, aber nie auch nur in die Nähe ihres Bettchens lassen.
Dabei war Hinkebein, wie ihn der Franz, absolut geschmackssicherer Style Guide der Klasse, nach wenigen Tagen getauft hatte, ein ungeheuer kluger Kopf. Die Klassenarbeit über den Fontaneroman am Tag seines spektakulären Auftritts, hatte er ohne je zuvor an unserem Unterricht teilgenommen zu haben und mit einstündiger Verspätung noch mitgeschrieben und dafür das Non plus ultra, satte fünfzehn Punkte, kassiert. Mathe und Physik waren nicht so sehr sein Fall, aber im Deutschunterricht machte ihm niemand etwas vor. Selbst der Neuberger wurde vorsichtig, wenn Albert eine seiner gewagten Thesen aufstellte. Zweimal war es passiert, dass der Schüler den Lehrer argumentativ vorgeführt hatte.
Tatsächlich wäre Albert in intellektueller Hinsicht schon der Richtige für mich gewesen. Aber da war noch etwas anderes, mehr ein Gefühl, das ich nicht genau definieren konnte, das mich abstieß. Der Klumpfuß war es nicht, es hatte mit der Art zu tun, in der Albert Frauen und Mädchen ansah. Ich musste unwillkürlich an einen Kannibalen denken, wenn ich Albert einmal alleine begegnete und seinen Blick auf mir spürte. Mir war jedesmal unwohl dabei.
Endgültig auf meiner Liste der unerwünschten Personen landete Albert nach einer Begebenheit, die sich während der Sommerferien zutrug.
Es war August, ein heißer August in jenem Jahr. Die P. und ich waren im Städtchen unterwegs, Klamotten probieren, Eis schlecken, Cola trinken und dazu eine rauchen.
In diesem Jahr waren rückenfreie Tops mit Spaghettiträgern, die im Nacken zusammengebunden wurden, der letzte Schrei. Wir hatten eben einen Teil unseres Geldes in zwei dieser Tops gesteckt, die P. in ein maisgelbes und ich in ein cremefarbenes. In unserer brandneuen Sommergarderobe hatten wir uns beieinander untergehakt und waren gut gelaunt unterwegs zur Bücherei, um frischen Lesestoff fürs Schwimmbad zu besorgen.
Bei dem herrlichen Wetter ist natürlich kein Mensch in der Stadtbücherei und wir wähnen uns zu zweit alleine zwischen den Regalen auf der Suche nach Lektüre. Deshalb trifft mich fast der Schlag, als ich um eine der Regalwände biege und dort unvermittelt Albert gegenüber stehe. Mein Schreck manifestiert sich in einem kieksenden Schrei, der sofort die P. herbeieilen lässt.
Da stehen wir beide eng nebeneinander und starren ziemlich entgeistert Albert an. Der hat nämlich mitten in der Bücherei die Hosen heruntergelassen, steht dort in einem dunkelroten T-Shirt mit dem Konterfei von Charles Bukowski auf der Brust, den ich damals noch nicht kannte, und ist ohne Zweifel gerade dabei, sich einen runterzuholen. Ich starre mit einer Mischung aus Entsetzen und Neugier auf diesen Penis, den Albert losgelassen hat und der nun mit wippender Spitze schräg nach oben von seinem Unterleib absteht. So ein riesenhaftes Glied habe ich noch nie gesehen. Genau genommen habe ich zuvor überhaupt noch keinen erigierten Penis in natura gesehen, aber im Vergleich zu den Aufklärungsbildern in Mädchenzeitschriften ist Alberts Speer schlicht monströs.
Ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, die peinliche Situation zu beenden, sieht uns Albert an mit seinem hungrigen Kannibalenblick, und mir läuft dabei ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Er aber sagt ganz beiläufig, so als müsse er uns an eine Schulveranstaltung erinnern: Almabtrieb. Bald ist die Zeit für den Almabtrieb. Die Stiere müssen gemolken werden.
Und er greift erneut nach seiner Lanze und fängt an, sie mit den Fingern zu massieren. Alberts Blick wandert zwischen der P. und mir hin und her, und er scheint uns beide auffressen zu wollen.
Auf einmal habe ich panische Angst vor der Situation, in die wir da unvorbereitet hineingestolpert sind. Das Herz pocht wild in meiner Brust und unbewusst weiche ich einen halben Schritt nach hinten aus. Die P. aber hat schon wieder diese glasigen Augen und statt an meiner Seite zu bleiben geht sie auf den Albert zu. Ich will die Freundin rufen, aber die Stimme versagt mir. Dann steht sie auch schon direkt vor dem Kerl, streckt beide Hände aus und greift nach seinem Glied, das er ihr entgegenstreckt.
Ich kann meinen Blick nicht abwenden, habe vor Anspannung die geballten Fäuste gegen Mund und Wangen gepresst, die Ellenbogen eng an meine Brust gedrückt. Die P. nimmt das Glied wie ein verletztes Vogeljunges in beide Hände, und im gleichen Moment ejakuliert Albert.
Augenblicklich löst sich die Lähmung, die mich erfasst hatte, ich mache auf dem Absatz kehrt und renne fort, hinaus aus der Bibliothek, nur weg, solange bis mir der Atem ausgeht dort draußen in der Sommerhitze. Hinter einem Gebüsch erbreche ich mich.
Auf der Lehne der Parkbank, dem Stammplatz der P. und mir, warte ich auf die Freundin. Zum Glück dauert es keine halbe Stunde, bis sie auftaucht und mich von meinen Selbstvorwürfen erlöst, sie im Stich gelassen zu haben.
Da sitzt sie neben mir, immer noch mit dem glasigen Blick in den Augen, mit einer Zigarette zwischen den Lippen, und vorne auf ihrem neuen, gelben Top trocknet Alberts Sperma.
Nein, sie ekle sich nicht. Weder vor dem, was in der Bücherei vorgefallen sei, noch vor dem Klumpfuß, falls ich das auch wissen wolle. Ja, die Gier in seinen Augen sehe sie auch, aber sie habe keine Angst vor ihr; im Gegenteil. Ja, sie wisse schon, dass er nicht nur sie so ansehe, sondern alle Frauen. Und nochmals ja, sie werde trotzdem alles daran setzen, sich mit Albert alleine zu treffen. Je eher, desto besser.
Noch im gleichen Herbst war die P. schwanger, und drei Tage nach ihrem eigenen achtzehnten Geburtstag bekam sie einen Jungen, den sie Albert junior nannte. Sie und Albert senior heirateten ein Jahr später, direkt nach dem Abitur, die P. war neunzehn, ihr Mann ein Jahr jünger.
Die P. wusste, was sie wollte. Schon als Mädchen.
Wybergeschichten der schickse, dahingetippt so gegen 9 Uhr am 27. August 2006